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Konzeptkonstanten
der Youngsterband-Praxis

Prof. Dr. Franz Kasper Krönig

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„YoungsterBands“ sind konzeptionell und in der tatsächlichen pädagogischen und kreativen Arbeit komplex. Es haben sich in der jahrelangen Erfahrung mit YoungsterBands spezifische didaktische Ansätze und ein vielfältiges methodisches Repertoire herausgebildet und gruppenübergreifend bewährt. Gleichwohl ist die Konzeption offen, entwicklungsfähig und wird maßgeblich von den jeweiligen Dozent*innen und Teilnehmer*innen geprägt, die ihre individuellen Stärken, Erfahrungen, Vorlieben und Schwerpunkte einbringen und ihre Arbeit eigenverantwortlich regeln.

Bei aller möglichen und wünschenswerten Variabilität liegen der Ensemblearbeit jedoch eine Reihe konzeptioneller Konstanten zugrunde. Diese Konzeptkonstanten definieren den Rahmen, innerhalb dessen sich unsere YoungsterBands und mittlerweile zahlreiche weitere Ensembleformen wie Youngster-Instrumental-Ensemble, experimentelles Klassenmusizieren, Vokallabor oder Geigenraum bewegen.

1. Musik von Anfang an

Von der ersten Stunde an wird in den Gruppen gemeinsam musiziert. Entscheidend dabei ist, dass das gemeinsame Musizieren für die Kinder und die Dozent*innen als künstlerischer, authentischer Ausdruck erlebbar ist, d. h. nicht nur oder vorrangig als Üben aufgefasst wird. Die Gruppen entwickeln sich zu differenziert spielenden Ensembles, in denen sowohl gesungen als auch auf Instrumenten gespielt wird und zudem darstellendes Spiel, Bewegung und Tanz einbezogen werden können. Im Sinne einer ganzheitlichen musikalischen Bildung werden kreative, spielerische und experimentelle Zugangsweisen zu Musik eröffnet und gleichzeitig ein tragfähiges Fundament musikalischer Ausbildung an Instrument bzw. Stimme und im Ensemblespiel gelegt.

2. Alle Inhalte wie Instrumentalspiel, Singen, Rhythmus oder Begrifflichkeit werden fachlich korrekt ein- und weitergeführt.

Auch in der Gruppe werden keine Abstriche hinsichtlich der Gründlichkeit einer musikpädagogischen Ausbildung gemacht. Idealerweise (jedoch nicht zwangsläufig) findet zur Vertiefung der musikpädagogischen Inhalte Instrumentalunterricht begleitend zum Band- und Ensemblespiel statt. Alle Inhalte werden jeweils so vermittelt, dass wechselseitig möglichst nahtlos angeschlossen werden kann und sich Einzelunterricht und Band- bzw. Ensemblespiel möglichst sinnvoll ergänzen.

3. Es wird (auch) die Musik der Kinder gespielt.

Neben der Verwendung didaktisch vorbereiteten Materials und Repertoires wird den Kindern von Beginn an die Möglichkeit geboten, ihre eigene Musik zu finden, einzubringen und zu gestalten. Das kann durch Nachspielen von Songs, vor allem aber auch durch Songwriting, Komposition und Improvisation erfolgen. Ziel ist, künstlerisch authentische und lebensweltlich bezogene Ausdrucksfähigkeit zu fördern.

4. Inklusion: Keine*r wird ausgeschlossen oder problematisiert.

Die verschiedenen Lernstände, -tempi und -potenziale der Kinder werden genau wie ihre unterschiedlichen Interessen und Geschmäcker zum Ausgangspunkt individueller Förderung und gezielter Binnendifferenzierung gemacht und nicht problematisiert (defizitär betrachtet). Heterogenität in einem Ensemble ist Bedingung bzw. bedeutet Bereicherung und wird nicht als Problem betrachtet.

5. Das Ensemble als sozialer Organismus (statt Gruppenunterricht)

Ein Ensemble der Jazzhausschule versteht sich als eine Einheit, deren soziale und musikalische Identitätsbildung gefördert werden sollte, z. B. indem die Gruppe ein eigenes Programm entwickelt, sich einen Namen gibt und sich öffentlich präsentiert. Die Bandmitglieder haben damit gemeinsame Erfolgserlebnisse, eine gemeinsame Vergangenheit und Zukunft und tragen gemeinsam die Verantwortung.

6. Selbstbestimmung, Partizipation und Demokratisierung

Die Gruppen werden so weit wie möglich an Selbstorganisation und Selbstbestimmung herangeführt. Partizipation an musikalischen Prozessen und Demokratisierung von Entscheidungen, die die Gruppe betreffen, sind selbstverständlich.

7. Langfristige Perspektive

Der Aufbau eines Ensembles stellt eine erhebliche Investitionsarbeit da, die mit viel Aufwand und Mühen verbunden ist. Sowohl für die Kinder und deren Eltern als auch für die Dozent*innen ist es daher hilfreich, die in der langfristigen Perspektive liegenden Früchte dieser Arbeit aufzuzeigen und damit diese Investition auch in schwierigen Phasen sinnvoll erscheinen zu lassen.

8. Präsentation

Jedes Ensemble präsentiert sich zum Ende jedes Halbjahres bei einem (schul-) öffentlichen Auftritt. Es hat sich ferner bewährt, auch schon nach den ersten etwa acht Proben die Eltern zu einer ‚offenen Stunde’ einzuladen, um mit dieser ersten öffentlichen Präsentation Offenheit und Kommunikationsbereitschaft zu signalisieren und Vertrauen zu gewinnen.

9. Dozent*innenrolle

Der*die Dozent*in ist sowohl Pädagog*in bzw. Lehrer*in, der*die Wissen vermittelt, Maßstäbe setzt oder Lernsettings organisiert, als auch Künstler*in, der*die mit den Kindern gemeinsam Musik gestaltet und präsentiert. Die Begegnung mit aktiven Künstler*innen, die z. B. eigene Konzerte geben, eine eigene Website haben, CDs produzieren, erweitert per se die Zugangmöglichkeiten der Kinder.

10. Orale Tradition

Mit der Tradierung und Vermittlung Improvisierter und Populärer Musik werden in der Ensemblearbeit der Offenen Jazzhausschule auch Verfahren und Muster mündlicher Überlieferung angewandt. Merkmale dieser Tradition sind: Musik von Anfang an; intrinsische Motivation; Begeisterung für spezielle Musik und Interpret*innen; Bezugnahme und Rückkopplung im Lernprozess auf die „Lieblings“-Musik; große Anteile autodidaktischen und informellen Lernens; persönliche Identifikation mit der gehörten und selbst gespielten Musik; Identifikation mit dem „eigenen“ Ensemble bzw. der „eigenen“ Band.

11. Aktionsformen

In den Ensembles werden vielfältige und komplexe Erfahrungs-, Erlebnis- und Lernfelder geboten wie: Singen, Instrumentalspiel, Bewegen/Malen/Darstellen, Hören von Musik, Gestalten von Musik durch Improvisation und Erforschung von Klängen, Songwriting oder Komposition, Visualisierung von Musik und Sprechen über Musik.

12. Formaler Rahmen einer Youngster-Band

Youngster-Bands bestehen i. d. R. aus 6 bis 8 Teilnehmer*innen. Ab dem ersten Schuljahr kann jede*r ohne spezifische Vorkenntnisse mitspielen. Die Bands treffen sich wöchentlich für jeweils 60 Minuten. Der Proberaum ist mit Klavier / Keyboard, zwei E-Gitarren, einer akustischen Gitarre, Bass, Schlagzeug, Perkussions-Instrumenten und Gesangsanlage ausgestattet.

13. Musikpädagogik und Jugendhilfe / Musikpädagogik und selbstverantwortete künstlerische Gestaltung

Musikpädagogische Ziele auf der einen und soziale, erzieherische Ziele auf der anderen Seite werden als zwei Pole gesehen, die sich in der Ensemble-Praxis in einem Kontinuum verbinden. Ebenso verhält es sich mit der Vermittlung handwerklicher Kompetenzen einerseits und der selbstverantworteten künstlerischen Gestaltung der Teilnehmer*innen andererseits. Aufgabe der Dozent*innen ist, in diesen Kontinuen der jeweiligen Gruppe angemessene und interessante Lernsettings anzubieten oder besser gemeinsam mit den Teilnehmer*innen zu entwickeln.

 

veröffentlicht von: Offene Jazz Haus Schule, Rainer Linke

©2019: Offene Jazz Haus Schule, Franz Krönig

Lektorat: radiX editorial köln

Gefördert von:

 AK Kultur und Wissenschaft klein

Prof. Dr. Franz Kasper Krönig

Franz Kasper Krönig ist Musiker, Songwriter und langjähriger Dozent der Offenen Jazz Haus Schule. Aktuell ist er als Soziologe und Professor für Elementardidaktik und Kulturelle Bildung an der Technischen Hochschule Köln tätig. Er studierte Musikologie, Philosophie und Linguistik an der Universität zu Köln mit Abschluss Magister Artium und promovierte dort in Soziologie zum Dr. phil. Er lehrte an der Universität zu Köln (MediaStudies), an der Universität Flensburg (Soziologie der Erziehung), an der Hochschule für Musik und Tanz Köln, sowie der Technischen Hochschule Köln und der Fachhochschule Dortmund. Sein musikalisches Repertoire reicht von Pop und Rock bis hin zu Jazz-, Klassik- und auch Country-Elementen. 

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