Timing
praktische Übungsansätze und theoretische Hintergründe
Till Brandt
Um Timing verständlich zu machen, gebrauche ich gerne das Bild von Musiker*innen und Tänzer*innen. Musiker*innen spielen rhythmische Phrasen. Wenn die richtig getimed sind, transportieren sie einen Beat, auf den Tänzer*innen tanzen können. Wenn diese Phrasen aber schlecht getimed sind, kommt man beim Tanzen ins Stolpern.
Will sagen: Der Beat ist alles. Stabile Viertelnoten sind die Grundlage für alle weiteren rhythmischen Figuren. Wer den Beat verliert kann keine rhythmischen Figuren korrekt spielen.
Für die folgenden Übungen ist ein Grundwissen über Rhythmik Voraussetzung, nämlich:
- Die Kenntnis der Notenwerte
- Die Rhythmuspyramide
Ich möchte die Arbeit in drei Gebiete aufteilen:
- Noten im Raster platzieren
- Tempo halten (+ Exkurs „Wie übe ich effektiv mit dem Metronom?)
- Musikalische Abschnitte timen, Phrasen, Fills etc. Platzieren
1. Noten im Raster platzieren
Über den Beat, die Viertelnoten, spannt sich ein Raster aus Achtelnoten, Triolen, Sechzehntelnoten, und so weiter. Rhythmik entsteht, indem Noten in diesem Raster platziert werden, und zwar exakt, also quantisiert, das heißt nach mathematischen Regeln, ohne Abweichungen.
Ich stelle mir den Beat wie eine Dartscheibe vor. Für gutes Timing ist es essentiell wichtig, zunächst gleichmäßig die Mitte anzupeilen und in der Lage zu sein, diese auch zu treffen. Echte Cracks schaffen es mit der gleichen Präzision, die Triple 20 (das rote Feld über der Mitte im mittleren Kreis, in dem die 20 dreifach zählt) oder die Triple 3 (im mittleren Kreis unter der Mitte) zu treffen. Triple 20 wäre immer etwas vor dem Beat, Triple 3 etwas nach dem Beat. Im Gegensatz zum Dartspiel, wo die Triple 20 genauso schwer zu treffen ist wie die Mitte, gelingt es in der Musik erst, wenn man die Mitte sicher trifft bewusst vor oder nach dem Beat zu spielen. Und das ist dann absolutes Spezialistentum. Es gilt: Immer einen Schritt nach dem anderen machen – die Mitte – also auf den Beat spielen - ist erst einmal das wichtigste Ziel.
Übrigens: Laid back macht nur Sinn, wenn jemand anderes exakt im Raster spielt. Spielen alle laid back, wird alles einfach langsamer.
Und noch etwas: Von Ludwig, Schlagzeuger der Soulband im Jazzhaus, habe ich gelernt, dass in den 60ern und 70ern vieles möglich war, was Timing angeht. Doch dann kam Michel Jackson und mit ihm die produzierte Drumspur (Drum Computer). Man mag das mögen oder nicht, inzwischen hat sich unser Hörempfinden total daran gewöhnt, dass alles exakt quantisiert ist. Natürlich muss das nicht so sein, aber um etwas anderes, spezielles zu machen, halte ich es für nötig, als Musiker die Mitte treffen zu können.
Zwei Beispiele dazu, ein Rocksong aus den 60ern, einer von 2011:
The Rolling Stones – Street Fighting Man:
Nickelback- When We Stand Together:
Im letzteren ist einfach alles „richtig“, perfekt getimed. Jeder Chor, jede Gitarre. Ich will damit keineswegs sagen, das es besser ist, im Gegenteil. Ich will nur darauf hinweisen das dies unsere Hörgewohnheit heute ist. Übrigens betrifft das dann gleich die Sounds mit. Der superpräzise Schlagzeugsound von Nickleback ist erst durch elektronische Sounds möglich geworden und hat sich so etabliert.
Und natürlich: Gerade Sänger*innen und Solist*innen dürfen gerne etwas neben dem Raster singen. So entsteht Ausdruck. Allerdings gilt auch hier: sicheres „daneben platzieren“ klappt erst wenn man die Mitte treffen kann. Und: Es wirkt erst dann, wenn die Rhythmusgruppe auch wirklich auf dem Beat spielt.
Übung Nr 1: Die Groovemaschine
Man „programmiert“ sich selbst als Drum Computer, die Groove Maschine:
Die Füße übernehmen die Viertel, die Achtel werden gesprochen:
1 und 2 und 3 und 4 und
Es ist erstaunlich, dass einem eine Unregelmäßigkeit beim Zählen sehr schnell auffällt.
Mit den Händen kann man nun verschiedene Rhythmen klatschen.
Hier einige Beispiele:
Zuerst die Takte einzeln üben, dann die ganze Zeile mit jeweils einer Wiederholung.
Siehe dazu das Video „Die Groovemaschine“:
Übung Nr. 2: Kennenlernen aller Sechzehntel-Noten
Hier geht es darum alle vier möglichen 16tel-Positionen, die es pro Schlag gibt, zu fühlen und bewusst spielen zu können:
den Beat (erste 16teil) / e (zweite 16tel) / und (dritte 16tel) / und e (vierte 16tel)
Diese Übung kann man auch mit steigendem Schwierigkeitsgrad im Metronom ausprobieren:
- Metronom auf Viertel mit 16tel-Unterteilungen (wie auf dem Video zu hören)
- Metronom auf Viertel mit 8tel-Unterteilungen
- Metronom auf Viertel ohne Unterteilungen (= Subdivisions)
Video Nr. 2:
2. Tempo halten
Ein kurzer Exkurs: Wie übe ich effektiv mit dem Metronom?
Zunächst eine App-Empfehlung:
Metronomerous https://cutt.ly/qynb5mW
Die App bietet alles was das Herz erfreut, ich kenne keine bessere. Ein Metronom macht Schwächen im Timing hör- und fühlbar. Ein Metronom ist eine Kontrolle und Hilfe. Beim Üben mit Metronom soll es immer darum gehen, das Spielen OHNE Metronom zu stabilisieren.
Ein Weg, diese Autonomie zu erreichen ist es, die Anzahl der akustischen Signale immer weiter zu reduzieren:
- Beat + 16tel-Unterteilungen
- Beat + 8tel-Unterteilungen
- Beat ohne Unterteilungen
- halbe Noten (auf 1, 3 oder 2, 4
- ganze Noten (auf 1, 2, 3 oder 4)
Siehe dazu das Video „Üben mit Metronom 1“:
Außerdem kann man den Schlag des Metronoms auf ungewohnte Zählzeiten zu setzen:
- die „Und“
- 2. oder 4. Sechzehntel
- 2. oder 3. Triolenachtel.
Siehe dazu das Video „Üben mit Metronom 2“:
Außerdem kann man das Metronom „stille Takte“ spielen lassen.
Siehe dazu das Video „Üben mit Metronom 3 – Tempo halten“:
Wie übe ich, das Tempo zu halten?
Für ein stabiles Tempo ist es zunächst wichtig, dass die gespielten Noten auch wirklich im Raster sind.
Oft ist es ein Problem, dass bestimmte Töne/Schläge zu früh oder spät kommen und es so scheint, als würde das Tempo schneller bzw. langsamer werden. Wenn alles erst einmal richtig platziert ist, kann man danach daran arbeiten, das Tempo stabil zu halten. Das ist insbesondere dann schwierig, wenn sich die Intensität bzw. die Dynamik ändert: Wird es lauter möchte man gerne schneller werden. Wird es dagegen leiser wird man häufig langsamer. Kommt der Refrain, geht das Tempo nach oben etc.
Natürlich ist Tempo auch ein musikalisches Ausdrucksmittel und Schwankungen sind nicht grundsätzlich schlecht, aber wie bei so Vielem in der Musik kommt es darauf an, die Mittel kontrolliert und bewusst einsetzen zu können. Es ist einfach ein Irrtum, dass Schnellerwerden die Intensität erhöht. Oft wirkt es einfach nur nervös und „hibbelig“.
Die Metronomerous App bietet hier die großartige Möglichkeit, dass das Metronom stille Takte spielt (s. Ausflug „mit Metronom üben“, #3). Damit lässt sich der Schwierigkeitsgrad sehr gut steigern:
- Metronom auf 4tel, dann erst einen Takt Pause, danach mehrere Takte Pause.
- Dann den Metronomschlag wieder reduzieren, auf 2 und 4 oder 1 und 3, bei schnelleren Stücken oder Übungen auch nur die 1.
Ich empfehle hier auch gleich musikalische Bausteine zu üben. Zum Beispiel erst ein begleitendes, regelmäßiges Riff spielen um zu einem sicheren Tempo zu finden. Dann davon Varianten anbringen und dann über eine kurze Strecke improvisieren.
Super wichtig ist hier der Einzähler: Nicht gleich loslegen, sondern erst einmal das Tempo erfassen und den Fehler erkennen, wenn’s noch nicht passt: War ich zu früh oder zu spät, will ich eilen oder schleppen? Erst wenn man das Tempo richtig fühlt sollte man loslegen.
Eine weitere, sehr lohnenswerte Herausforderung ist es, Stücke, die man schon lange spielt, in einem ungewohnten Tempo zu üben. Es ist erstaunlich, wie schwer es ist, langsam zu spielen!
3. Musikalische Abschnitte timen, Phrasen & Fills platzieren
Nun ist es Zeit, alles zusammen laufen zu lassen:
- Ein Riff (Shake everything you got)
- als Tempoinformation nur ein Vorzähler
- eine Variationen
- eine Pause für ein Fill
Ein kurzer Ausflug: Wo bleibt bei all dem Rastern und Rechnen eigentlich die Kreativität und der Ausdruck in der Musik? Wenn ich mir Musik als eine Art Sprache vorstelle, dann ist Rhythmik die Grammatik. Sie ordnet die Töne und gibt ihnen Sinn und Fluss. Einem Redner, der seine Ideen klar, abwechslungsreich und gut geordnet vorträgt, hört man gerne zu, lässt sich auf ihn ein, er wirkt glaubhaft. Nun gibt es zwei Arten, wie wir Grammatik lernen: Intuitiv als Muttersprache und intellektuell als Fremdsprache. Beides funktioniert in Musik gleichzeitig! Allerdings glaube ich, dass die intellektuelle Herangehensweise an rhythmische Probleme selten angewendet wird. Deshalb auch dieser Text. Es gibt unendlich viele Schriften über Harmonielehre, Skalen, Akkorde, Klänge, alles wurde bedacht. Bücher über Rhythmik sind aber meistens Lehrbücher für Schlagzeuger. Ich habe in meiner Arbeit an der OJHS viele Teilnehmer in meinen Kursen gehabt die ein gutes Wissen über Harmonien, Tonleitern etc. Hatten, gleichzeitig aber Probleme damit hatten, einfache Achtelsynkopen zu klatschen. Dieser Text soll zeigen: Timing kann man üben um dem musikalischen Ausdruck und der Kreativität Flügel zu verleihen. Ich plädiere immer sehr dafür, mit einfachen Dingen zu starten. Wenn man an der Rhythmik arbeitet, ist es gut, erst einmal mit überschaubarer Tonauswahl zu beginnen. Pentatonik, Blues Tonleiter sind am Anfang besser geeignet als beispielsweise die alterierte Skala oder der Chromatic Approach. In dem Sinne der letzte Abschnitt. Er soll zum Erfinden von Melodien unter rhythmischen Gesichtspunkten einladen, denn nichts anderes ist Improvisation. |
Mein Beispiel Song für exemplarische Übungen heißt Fire on the bayou von den Meters, einer frühen Funkband aus den 60er und 70er Jahren.
Meters – Fire on the bayou (Original):
Und hier ein schönes Cover von Trombone Shorty:
Die Rhythmik des durchlaufenden Riffs ist eine kleine Akzentverschiebung.
In diesem Video erkläre ich es genauer: (Fire On The Bayou Riff für Instrumente)
Auch das gesungene Riff ist interessant. Eine Mehrstimmigkeit lässt sich damit sehr gut üben:
In diesem Video erkläre ich es genauer: (Fire On the Bayou Riff Mehrstimmigkeit)
Wie angekündigt wird es jetzt kreativer. Ziel ist es, die freie Zeit zwischen zwei Riffs mit einem Fill In zu füllen. Nimm dafür ein kleines Lick und lass es auf den verschiedenen Zählzeiten beginnen.
Hier zunächst ein Beispiel für ein Lick:
Das dann auf unterschiedlichen Zählzeigen startet:
In diesem Video zeige ich wie es geht: (Fill in spielen)
Auch Sänger können Fill Ins üben, z.B. mit einem einfachen Yeah:
In diesem Video zeige ich was ich meine: (Fill in für Sänger)
Zum Üben gibt es ein Playalong: (Fire on the Bajou Vocal Singalong)
Für Schlagzeuger*innen und Perkussionist*innen bietet das Stück eine gute Stelle um Fill Ins zu trainieren. Hört mal in die Version von Trombone Shorty gleich nach dem Solo rein.
Zum Üben gibt es zwei Playalongs: (Fire on the bayou Drum und Perc Fill):
(Fire on the bayou Solo playalong mit breaks)
Ganz nebenbei übt man so auch das Spielen in 2- und 4-taktigen Patterns. Ein Fill In wirkt ja immer wie eine Antwort auf eine vorhergehende Phrase.
Alle Videos, Playalong und auch die Noten zusammengefasst gibt es hier zum Herunterladen:
https://drive.google.com/drive/folders/1uhjOST7QzH99_yI5RbV9pKm8iFG4uQ94?usp=sharing
Zum Schluss möchte ich nun dazu anregen auch an das Solospiel mit dieser Idee, den Rhythmus zu kontrollieren, anzugehen.
Nehmt ein einfaches Pattern das zum Rhythmus des Stückes passt, z.B.:
Und füllt das mit Tönen aus einem überschaubaren Tonraum aus.
Variationsmöglichkeiten gibt es schon jetzt zu Hauf. Ich starte z.B. immer vom gleichen Ton und ende auf den verschiedenen Dreiklangstönen. Das Stück „Fire on the bayou“ eignet sich dafür perfekt. Es ist modal in Dm und man hat gleich am Anfang Platz, um solistisch einzusteigen.
Ab Einstieg des Schlagzeugs sind 4 Takte Groove, über die man spielen kann, z.B. so:
Hier eine Video zur Demonstration:
Ich hoffe sehr dass diese Arbeit zum Üben animiert und bin über Kritik und Ergänzungen dankbar!
Till Brandt