Die Enge in der Offenheit: Irgendwas mit Frauen
Tossia Corman
Dieser Text ist Teil der Festschrift zum 40jährigen Jubiläum der Offenen Jazz Haus Schule im Jahr 2020. Die vollständige Festschrift als PDF-Datei kann hier abgerufen werden.
Jazz ist frei, Jazz ist wild und divers, Jazz ist eine Sprache, die auf der ganzen Welt gesprochen und verstanden wird. So weit, so gut. Und doch tauchen auch hier immer wieder Zustände auf, die problematisch und diskutabel sind. Stichwort: die Rolle der Frau im Jazz.
Ulla Oster arbeitet seit den 80er Jahren in diversen Kölner und überregionalen Bands unterschiedlichster Stilistiken. Sie leitet eigene Projekte, komponiert und arrangiert für Bands vom Duo bis zu Big Band und 60-köpfigem Orchester; schreibt Theater- und Filmmusiken, unterrichtet und leitet Workshops. Tourneen in Russland, Marokko, dem Nahen Osten, Australien. An der OJHS ist sie Vorstandsmitglied und leitet seit 1982 Erwachsenenbands.
Angelika Niescier arbeitet als Komponistin und Saxophonistin an interdisziplinären Großprojekten, Soloprogrammen und Auftragskompositionen. Sie erhielt u. a. den Deutschen Jazzpreis/Albert Mangelsdorff Preis. Ihre CD-Produktionen wurden mit dem Vierteljahrespreis der deutschen Schallplattenkritik sowie dem Echo Jazz ausgezeichnet. Sie tourt im In- und Ausland und ist Dozentin u. a. an der Hochschule Osnabrück. An der OJHS ist sie seit 1998 Dozentin im Vorstudium Jazz und für Ensembleleitung.
Kristina Brodersen studierte Jazzsaxophon in Mainz, Köln und Kopenhagen. Seit 2014 ist sie Mitglied im Orchestre Nationale de Jazz Luxembourg. Mit dem Projekt »Kristina 4« veröffentlichte sie 2019 das Album »MRS GREEN« (KLAENG Records). An der OJHS ist sie seit 2004 Dozentin für Saxophon, Klarinette, Querflöte und Ensembleleitung.
Theresia Philipp studierte Jazzsaxophon an der HfMT Köln und absolvierte 2019 ihren Master Komposition an der HfM Mannheim. 2013 »Lions Club Köln« Stipendium. Mitglied im Bundesjazzorchester. Ihr Debutalbum »herb« wurde 2016 bei Klaengrecords veröffentlicht. Preisträgerin des Horst und Gretl Will Stipendiums. An der OJHS ist sie seit 2009 Dozentin für Saxophon und Ensembleleitung.
Ulla Oster, Angelika Niescier, Kristina Brodersen und Theresia Philipp sind Dozentinnen an der Offenen Jazz Haus Schule und aktiv als Musikerinnen in der internationalen Jazz-Szene. Sie bringen jede für sich zahlreiche Eindrücke, Gedanken und Erfahrungen mit zum Diskurs: Was ist das eigentlich genau, dieses »Frauenthema«? Warum muss die Rolle der Frau im Jazz immer wieder besonders betrachtet und behandelt werden?
Ulla Oster:
In Gesprächen, die wir im Vorfeld geführt haben, ist uns gemeinsam in der Gruppe aufgegangen, dass es nicht leicht ist, überhaupt eine konkrete Fragestellung zu finden, die das Thema »Frauen im Jazz« hinreichend bearbeitet. Wir sind so gar nicht richtig zum Punkt gekommen. Unsere Conclusio war deshalb, unsere Art, darüber zu diskutieren, zum Thema zu machen. Auch, weil es vielleicht repräsentativ ist für »Immer diese Frauenthemen« – wie gehen wir ganz konkret damit um, was sind unsere Schwierigkeiten? Meist ist es gut gemeint, das »Frauenthema« auch zu berücksichtigen, in den Fokus zu nehmen. Trotzdem ist es komisch, dass zu diesem Thema die Frauen dann immer wieder zur Diskussion gebeten werden. Warum lässt man nicht die Männer darüber sprechen? Warum müssen wir immer dieselben Themen wiederkäuen? Warum wird es auch hier und heute wieder hochgeholt? Genau das spiegelt ja gerade, dass die Rolle der Frau in der Musik noch immer eine andere ist als die der Männer und dementsprechend hervorgehoben werden muss.
Theresia Philipp:
Warum muss man immer wieder darüber reden? Ganz einfach – es gibt wie in unzähligen anderen Bereichen auch im Jazz patriarchale Machtstrukturen. Ich denke, jede von uns hat damit auch persönliche Erfahrungen gemacht, und das Auflösen dieser Strukturen ist ein sehr langer Weg, der seit Generationen gegangen wird. Das ist natürlich oft anstrengend, denn auch wenn mal ein Gefühl von »jetzt haben wir etwas erreicht« aufkommt, muss man trotzdem immer wieder von vorn anfangen zu erklären und zu diskutieren.
Kristina Brodersen:
Wenn man sich zu einer Gesprächsrunde mit dem Thema »Frauen im Jazz» zusammenfindet, sieht man sich schnell mit Fragen wie »Gibt es eine typisch weibliche Art und Weise, ein Instrument zu spielen? Haben Mädchen und Frauen ein anderes Übe-Verhalten?» konfrontiert. So, als wollten von Anfang an alle Fragen in eine bestimmte Richtung lenken. Wir hingegen haben gar nicht unbedingt das Gefühl, dass diese Fragen relevant sind für unseren Alltag als Musikerinnen.
So hat man das Gefühl, dass man auf seine Weiblichkeit »reduziert« wird und völlig normale Themen im Zusammenhang mit Musik plötzlich nur noch von dieser Seite aus betrachtet werden. In den meisten Fällen ist das wahrscheinlich unbeabsichtigt oder sogar »gut gemeint«, was aber trotzdem nicht verhindert, dass diese Separation stattfindet.
Auch die Frage, ob es wichtig ist, dass es »reine« Frauenbands gibt – Angelika hat da die wunderbare Antwort gegeben: »Hauptsache, die Musik ist der Knaller!« Es sollte keine Frage sein, welches Geschlecht man hat, sondern es geht – natürlich – in allererster Linie um die Qualität der Musik.
Angelika Niescier:
Es ist auch deswegen problematisch, weil keine, die hier an diesem Gespräch teilnimmt, tatsächlich nur im Hintergrund steht. Wir alle haben unsere Projekte, wir alle stehen vorne, sind draußen, sind auch, je nach Situation, mehr oder weniger »aggressiv« in unserem grundsätzlichen Vorgehen.
Eigentlich geht es um diese immer weiter tradierte Denkweise, die unmöglich ist und trotzdem dazu führt, dass wir vier Frauen jetzt in diesem Moment hier zusammensitzen und darüber sprechen. Fragt doch die Jungs, was sie über dieses Thema denken und wie sie die Situation verändern wollen!
Ich bin in diesem Thema als Teil dieser spezifischen Minorität (einer von vielen in der Jazzwelt) seit Jahrzehnten aktiv, und es ist teilweise geradezu frustrierend, weil die Veränderungen so unfassbar langsam vonstatten gehen. Trotzdem oder gerade deswegen müssen wir weitermachen. Leider kommt aber der offene Diskurs mit nicht direkt Betroffenen eher selten zustande.
Aber solange auf den Bühnen nicht mit Selbstverständlichkeit eine ausgeglichene Ratio (Frauen/Männer/divers) zu sehen ist, ist diese Problematik nicht durch, so einfach ist das. Und dass unsere Gesellschaft von Gleichberechtigung und Diversität profitiert, versteht sich von selbst.
Eine neue Frage steht in diesem Zusammenhang im Raum: Wie ist es, wenn man als Musikerin nicht müde wird, in Gesprächen, ob fachlich oder privat, immer wieder dieses Thema anzusprechen, in jeder Situation, die es erfordert, die Stimme zu erheben und darauf aufmerksam zu machen? Fühlt man sich in dieser Rolle manchmal gefangen? Wie ist es, wenn man beobachtet, dass es andere Betroffene viel- leicht nicht so handhaben?
Kristina Brodersen:
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich da eher zurückhaltend bin, manchmal für meinen Geschmack auch etwas zu lange. Dann kann es schon sein, dass man sich ärgert, weil man vielleicht nichts gesagt hat, wenn es angebracht gewesen wäre.
Ich denke, es ist bei uns allen so, dass wir uns mittlerweile in ein Umfeld begeben haben, in dem wir verstanden, wahr- und ernstgenommen werden und in dem wir uns wohlfühlen. Ich weiß, dass die Männer, mit denen ich musikalisch zu tun habe, hinter mir stehen und mich in entsprechenden Situationen bestärken und verteidigen. Es gibt also durchaus auch Kollegen, die sensibel sind für die Themen, die uns als Frauen umtreiben.
Theresia Philipp:
Ich habe mich früher manchmal durchaus dazu entschieden, bestimmte Dinge nicht anzusprechen oder zu posten, um nicht ausschließlich über diese Schiene wahrgenommen zu werden. Mittlerweile ist mir das egal – das Thema ist einfach zu wichtig.
Es gibt fast täglich Situationen, die mich mit diesem Thema konfrontieren: Vorurteile, sexistisches Verhalten oder Kommentare von Veranstaltern oder Musiker*innen, Bewertungen des Äußeren und des Verhaltens. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Kolleg*innen, die sehr bewusst und reflektiert diesen Situationen kontern, in Dialoge gehen und füreinander einstehen. Das gibt mir viel Kraft und bestärkt mich, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Angelika Niescier:
Ich arbeite schon lange in Kontexten, in denen meine Mitmenschen bei den wichtigsten Parametern mit mir in etwa auf einer Linie sind. Und seit ich mich erinnern kann, diskutieren wir: über Homophobie, über Rassismus, die allgemeine Wahrnehmung von Musikerinnen.
Problematisch und unendlich nervig ist, dass unsere Musik immer noch nicht einfach wahrgenommen wird, sondern dass immer wieder der Kontext (in diesem Fall das Geschlecht) auf eine oft absurde Weise eingeflochten wird.
Ich streite mich offen mit Journalisten, die diese Art zu berichten immer noch praktizieren oder die die Entwicklung der Sprache hin zu einem neutralen bzw. inklusiven Gebrauch einfach ignorieren. Und mir ist es egal, wie ich dann wahrgenommen werde. Ich will einfach, dass niemand – welchen Genders, Charakters auch immer oder welche Musik spielend – an irgendwelche idiotischen Stereotypen angedockt wird.
Ulla Oster:
Und jetzt weiter: Seit vielen Jahren gibt es diese Runden, in denen Musikerinnen sich gegenseitig austauschen, von ihren Erfahrungen berichten. Wichtig ist für mich inzwischen, dass es nicht nur beim Erfahrungsaustausch, bei den Geschichten bleibt, sondern dass es einen Fokus, eine Zielsetzung und damit Erkenntnisgewinn gibt in den Gesprächen.
Auch zum Thema »Unterrichten« gibt es in diesem Zusammenhang einigen Diskussionsstoff: Gibt es Unterschiede in der Art und Weise, Schüler*innen und Student*innen an die Musik heranzuführen? Welche Stereotypen kommen hier zum Tragen? Und welche eventuellen Konflikte sind zu klären? Welche Verantwortung trägt man, vor allem vielleicht dafür, Schülerinnen auf ein Leben in der Jazzwelt vorzubereiten?
Theresia Philipp:
Als Lehrkraft finde ich es sehr wichtig, Verhalten und Kommunikation immer wieder zu reflektieren und an sich zu arbeiten. Genauso wichtig sind Vorbilder. Das sind zum Beispiel auch wir in unserer Arbeit an der Jazz Haus Schule für unsere Schüler*innen.
Angelika Niescier:
Ich habe in der Jazz Haus Schule vor allem mit Erwachsenen zu tun. Für mich ist das absolut Wichtigste der respektvolle Umgang miteinander. Da sind dann die Geschlechterklischees sekundär, im Vordergrund steht, dass sich Teilnehmende aller Niveaus mit Respekt begegnen. Nur dann kann Musik entstehen.
Gerade Jazz, improvisierte Musik, lebt vom Zuhören, Reagieren, Sich-den-Platz-Nehmen und Platz-Lassen. Das ist der Kern dieser Musik, und dieser muss erlebt werden. Hier leistet die OJHS durch das vielseitige Angebot durchaus die Arbeit, Erfahrungsräume zu schaffen und durch das Erlebnis für diese Genres und übergreifend für ein offenes Miteinander zu sensibilisieren.
Ulla Oster:
Was haltet ihr denn von Freiräumen in der Musik für Mädchen oder Frauen? Zum Beispiel Workshops? Habt ihr da Erfahrung? Ist es nötig, so etwas immer wieder anzubieten, auch wenn die Reaktionen vielleicht verhalten sind?
Kristina Brodersen:
Ich persönlich finde, ehrlich gesagt, gemischte Gruppen schöner. Auch, weil der schon erwähnte und für mich wichtige respektvolle Umgang so meiner Meinung nach leichter vermittelt werden kann. Wenn von vorneherein ausgeschrieben ist, dass es einen geschützten Raum gibt, separiert das wieder nur.
Ich habe aber durchaus auch Schülerinnen, die wahnsinnig talentiert sind, sich aber im Bandkontext nicht trauen, einfach drauflos zu spielen. Für die ist es vielleicht wichtig, sich erstmal in einem etwas geschützteren Raum ausprobieren zu können. Mit reinen Frauen-/Mädchen-Workshops habe ich bisher noch keine Erfahrung gemacht.
Angelika Niescier:
Ich habe viele solche Workshops durchgeführt, war immer super! Die Energie war wahnsinnig. Die Stimmung ist unglaublich lebendig und aktiv, es wird einfach gemacht. Auch wenn es aufgrund des aktuellen Zeitgeistes (oder schlechter Terminierung) mal weniger Anmeldungen gibt: Das Angebot sollte, gerade für jüngere Schülerinnen, immer verfügbar sein. Das Problem ist nicht die erwähnte Separation, sondern dass Mäd-chen/junge Frauen fast jeden musikalischen Kontext als nicht ausgewogen erleben, was subtil bestimmte tradierte Verhaltensweisen bei ihnen selbst und den anderen verstärkt und ein freies Musizieren unter Umständen verhindert.
Ulla Oster:
Ich denke auch, dass solche Workshops immer wieder angeboten werden sollten. Nach meiner Erfahrung ist das für jüngere Mädchen, die so in einem Freiraum lernen können, aus sich herauszukommen, eine Position zu finden und offener zu werden, vielleicht sogar etwas wichtiger als für erwachsene Frauen.
Theresia Philipp:
Ich habe da gemischte Gefühle. Auf der einen Seite denke ich, dass diese Angebote wichtig sind. Auf der anderen Seite ist es fast ein bisschen traurig, dass es überhaupt noch einen Bedarf gibt. Ich würde mir wünschen, dass diese Freiräume gar nicht mehr nötig wären. In unserer Gesellschaft ist es leider noch immer so, dass Mädchen anerzogen wird, sich erst einmal zurückzuhalten. Ich mache auch ab und zu im Unterricht die Erfahrung, dass Schülerinnen eher schüchtern sind und teilweise Angst davor haben, Fehler zu machen, während Schüler unbeschwerter einfach ausprobieren.
Zum Schluss des Gesprächs die Frage nach einem persönlichen Fazit von Euch:
Angelika Niescier:
Wie groß soll die Antwort darauf ausfallen? Auf die Welt bezogen oder auf den Mikrokosmos Jazz Haus Schule? Natürlich gibt es Grundsätzliches: Quoten sind selbstverständlich wichtig. Weitgefasste Diversität auf allen, vor allem leitenden Ebenen ist unabdingbar.
Kristina Brodersen:
Interessant ist ja, wie schnell man immer wieder bei den vermeintlich kleinen Fragen, im persönlichen Kontext, beinahe sofort auf die großen, generellen Themen kommt. Das zeigt ja die unmittelbare Verbindung auf, dass das, was im Kleinen passiert, immer in Zusammenhang mit dem generellen Zustand steht.
Für mich ist Jazz frei, man kann seine eigene Stimme finden. Als ich angefangen habe, mich mit dieser Musik auseinanderzusetzen, habe ich aber schnell gemerkt, wie eng es in dieser vermeintlichen Freiheit werden kann.
Ulla Oster:
Für mich ist die Conclusio, dass es immer wieder komplex ist: Unser eigenes Rollenverständnis, wie drücken wir uns aus – in jeder Hinsicht –, wie arbeiten wir, wie tragen wir das weiter. In unserer Musik, aber auch in unserem pädagogischen Handeln. Es fällt uns immer wieder vor die Füße, wir müssen uns immer wieder damit beschäftigen. Wichtig ist für mich zweierlei: Sachlich zu bleiben und dem Ganzen mit Humor und Souveränität zu begegnen.
Theresia Philipp:
Ich möchte mich und andere dazu ermutigen, sich mit den ganzen genialen Frauen, die es schon immer gab, die aber keine angemessene Beachtung gefunden haben, zu beschäftigen und ihre Werke kennen zu lernen. Ob in Musik, Literatur oder Wissenschaft... Außerdem wünsche ich mir speziell für die Jazzszene viel mehr Diversität und Offenheit für alle LGBTQ* Menschen und dass wir als Lehrkräfte der OJHS diese Offenheit im Unterricht vorleben und vermitteln können!
Angelika Niescier:
Ich unterstütze ein ehrliches Gefühl der Schwesternschaft.
Das Thema ist komplex, das darf es auch sein, ein gemeinsames Gefühl und Aktionen der Solidarität von allen (!) sind dabei sehr wichtig. Aber wir haben verdammt noch mal das Jahr 2020! Offen oder unbedacht Sexistisches oder Diskriminierendes lache ich laut aus. So etwas mache ich einfach nicht mehr mit.