Das Projekt KlangKörper an der
Schule Kunterbunt
Uschi Brockerhoff
Dieser Text ist Teil der Festschrift zum 40jährigen Jubiläum der Offenen Jazz Haus Schule im Jahr 2020. Die vollständige Festschrift als PDF-Datei kann hier abgerufen werden.
Die Schule Kunterbunt ist eine der ersten inklusiven Grundschulen in Köln. Aktuell werden 240 Kinder in 10 Familienklassen jahrgangsübergreifend unterrichtet und ihren Begabungen und Fähigkeiten entsprechend gefördert. Wir sind offen für alle Kinder. Die dadurch erreichte große Heterogenität betrachten wir als Chance und Bereicherung. Die Kinder unserer Schule kommen aus mehr als 15 verschiedenen Nationen und leben in Familien, von denen viele auf unterstützende Hilfen zum Leben angewiesen sind. Ein Teil der Kinder stammt aus Familien, die Kriegs- und Fluchterfahrungen verarbeiten müssen.
Seit 2011 arbeiten wir mit der Offenen Jazz Haus Schule, Köln (OJHS) im Rahmen des Projekts »KlangKörper« zusammen. »KlangKörper soll Kindern die schöpferische Auseinandersetzung mit Klang und Bewegung ermöglichen, kindgerechte Zugänge zu den Kunstformen Musik und Tanz eröffnen und sie den eigenen Körper als Medium von Ausdruck und Wahrnehmung entdecken lassen. KlangKörper heißt: Menschen und Systeme in Resonanz – Kinder und Künstler, Schule und Kultur, die Kooperationspartner. Es bedeutet, Räume zu schaffen, Verbindungen aufzuspüren zwischen Klang und Bewegung, Fantasie und Ausdruck, Freiheit und Anstrengung, Vertrauen, Irritation, Präsenz, Neugier.« (Thomas Gläßer, Projektleitung KlangKörper)
Durch dieses Projekt konnten wir allen Kindern unserer Schule den Weg zu Musik und Tanz an der Seite von phantastischen Künstlern und Persönlichkeiten ermöglichen. Nur durch eine offene, kreative und engagierte Einrichtung wie die OJHS war es möglich, eine nachhaltige Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu realisieren. Heute, nach 9 Jahren und verschiedenen gemeinsamen Entwicklungsphasen, ist die Arbeit mit den Künstlern aus unserem Schulalltag nicht mehr wegzudenken. Dafür gilt unser Dank den beteiligten Künstlern, den Projektleitern Thomas Gläßer (Schwerpunkt Musik) und Benedetta Reuter (Schwerpunkt Tanz) und der kontinuierlichen Unterstützung durch die Offene Jazz Haus Schule und ihren Leiter Rainer Linke, deren Kreativität und hohes Engagement für die Entwicklung und das Gelingen des Projekts entscheidend sind.
KlangKörper eröffnet allen Kindern eigene Wege
KlangKörper in einer Familienklasse: Schüler K.
verweigert sich in der KlangKörper-Gruppe seiner Klasse. Er schaut zu, liegt unbeteiligt auf dem Boden. Die Versuche, ihn zu beteiligen, scheitern. Manchmal scheint er Interesse zu haben, macht kurz mit, zieht sich aber immer wieder in die Beobachterrolle zurück. Die Tänzerin vertraut darauf, dass ein Wechsel zwischen Tanzen und beobachtender Teilnahme für K. durchaus sinnvoll sein kann, solange die Arbeit der Gruppe dadurch nicht gestört wird. Und der Erfolg gibt ihr recht. Am Tag der Aufführung vor großem Publikum treffen sich alle Kinder der Gruppe hinter der Bühne. K. ist auch anwesend. Er wird gefragt, ob er auf die Bühne will. Er nickt. Auf der Bühne steht K. in der letzten Reihe, bindet sich in aller Ruhe die Schuhe, während die anderen ihre Aufführung bereits begonnen haben. K. findet sich ein und macht bis zum Ende der Darbietung mit. Er lächelt.
Geigenraum: In der Auswertungsrunde im Klassenverband nach dem ersten KlangKörper-Aktionstag an unserer Schule äußern mehrere Kinder, wie sehr ihnen der Geigen-Workshop gefallen habe. Geige spielen, das ist ihr Wunsch. In der Lehrerkonferenz beraten wir erstaunt und vereinbaren, dies der Steuergruppe und Thomas Gläßer ans Herz zu legen. Mit Axel Lindner von der OJHS und dem Musik-Fachkollegen Johannes Krause wird ein Versuch gestartet. Die OJHS leiht der Schule Kindergeigen, und es wird ein »Geigenraum« eingerichtet. Die Kinder können in einer Art Schnupperkurs jeweils einmal pro Woche den Geigenraum aufsuchen und die Instrumente erkunden. Die Auftritte der Geigenspieler*innen bei Schulveranstaltungen, der Karnevalssitzung und beim mittlerweile jährlich stattfindenden Musikkonzert vor großem Publikum sind legendär!
Während des Aktionstages: Beim vorletzten Aktionstag rockt der Schüler M. in der letzten Phase des offenen Ausklangs im Schulflur auf dem Schlagzeug derart ab, dass die anwesenden Musiker und Tänzerinnen sich dem Rhythmus anpassen und mit dem Schüler eine eigene kleine Session veranstalten…
L., der einen eigenen Schulbegleiter hat, läuft während der Startphase zwischen Schülern und Künstlern selbstversunken mit einem Buch durch die Halle und schaut aus der Distanz interessiert ins Buch, zu den Kindern, zu den Erwachsenen. Später wird er im Kurs seine Rolle finden.
Die Schülerin A. verlässt ihren Workshop tanzend, hüpfend und über beide Ohren strahlend und fragt, während »KlangKörper« noch in vollem Gange ist: »Wann ist nochmal der nächste Aktionstag?«
Teilhabe für alle Kinder
In so viele ernsthafte, fröhliche, selbstbewusste, neugierige und faszinierte Kinderaugen blicken zu können, empfinde ich heute immer noch als großes Geschenk. Hier werden wir gemeinsam mit der OJHS und dem Ganztag unserer Aufgabe gerecht: Chancengleichheit und Teilhabe für alle Kinder zu ermöglichen. Die Kinder leben und gestalten in regelmäßigen Angeboten, Workshops, Aktionstagen und Ausflügen ihre Leidenschaften und Begabungen. Sie entdecken ihre Interessen und werden dabei professionell begleitet. Viele wachsen dabei über sich hinaus. Jedes Kind hat Begabungen. Unsere Aufgabe ist es, jedes Kind dabei zu unterstützen, diese zu entdecken und daran bewusst zu wachsen.
KlangKörper-Aktionstag
Ein besonderes Highlight ist der mittlerweile jährlich stattfindende »KlangKörper-Aktionstag«. Dieses Format wurde an unserer Schule entwickelt und ist nun ein Ereignis, auf das sich alle Beteiligten – trotz der intensiven Vorbereitungszeit – immer sehr freuen. Beim Aktionstag setzt sich das KlangKörper-Prinzip der Resonanz zwischen Kunst und Schule beinahe ideal um: Das Zusammenwirken der organisatorischen Expertise der Schule (federführend Jule Mielzarek und Pegah Shakeri), der künstlerisch-konzeptionellen Expertise der Projektleitung (Gläßer / Reuter) und ein gemischtes Team aus Musikern und Tänzern, Ganztagsmitarbeitern und dem Kollegium der Schule ermöglichen eine außergewöhnliche Synergie.
Ein besonderer Schultag, an dem eine ganze Grundschule in Workshops, Interventionen und Performances mit professionellen Musiker*innen und Tänzer*innen ein buntes Angebot von Musik und Tanz, Klang und Bewegung, Kunst und Schule gestaltet und unvertautes Terrain erkunden darf. Bereits früh morgens markieren künstlerische Interventionen im ganzen Schulhaus, dass dieser Tag aus der Reihe tanzt. Vielfältige Workshops, von den Kindern im Vorfeld selbst gewählt, werden von Künstler*innen, Pädagog*innen und Ganztagsmitarbeiter*innen angeboten und teilweise gemeinsam durchgeführt. Nach den Workshops präsentieren die beteiligten Tänzer*innen und Musiker*innen in kurzen Performances ihre Kunst und stellen sich den Fragen der kleinen und großen Zuschauer.
Dieser Tag bietet besonders auch jenen Kindern unserer Schule, die aus verschiedenen Gründen schwer Anschluss finden, eine vielschichtige Schnuppergelegenheit, die es ihnen erleichtert, auch in vertiefende Ensembles oder AGs einzusteigen, die u. a. im Rahmen der Offenen Ganztagsschule in Trägerschaft des Kolping-Bildungswerks angeboten werden.
Zum Abschluss finden eine Floating Phase und eine Jam-Session mit allen Künstlern statt.
Die Stimmung des Tages, die Erfahrungen, die Begeisterung durch die Wahrnehmung der eigenen Möglichkeiten stimulieren die ganze
Schulgemeinde noch lange. Das Wir-Gefühl, das entsteht, hilft, weitere Herausforderungen zu stemmen.
Schulentwicklung vorantreiben: Chancen nutzen, Hürden beseitigen
Durch die Zusammenarbeit mit den KlangKörper-Künstler*innen konnten wir im Bereich
Musik und Tanz nicht nur ein zusätzliches Angebot bereitstellen. Durch die nun schon neunjährige Projektarbeit haben wir unsere Schulentwicklung vorantreiben können und konnten den Bereich Musik/Tanz/kulturelle Bildung als einen Schwerpunkt in unserem Schulprogramm verankern.
Die im Schaubild unten dargestellten Angebote mit Unterstützung der OJHS und des Ganztagsträgers Kolping-Bildungswerk sowie durch eigenes Engagement aus dem Kollegium sind aus dem Programm der Schule nicht mehr wegzudenken.
Gelingensbedingungen
Alle Beteiligten mussten lernen, sich aufein-
ander einzulassen und wahrzunehmen, was Kinder und Tandems (Pädagog*innen & Künstler*innen) brauchen, damit die gemeinsame Arbeit gelingen kann.
Rein technische und organisatorische Dinge mussten geklärt werden. Die starren Grenzen eines Schulalltags haben wir den Bedingungen von Profis aus dem Bereich Musik und Tanz angepasst. Hierfür benötigten wir Räume, die eigentlich nicht da waren.
Wir mussten Antworten auf diverse Fragen finden
Wie lange können Kinder gemeinsam erfolgreich kreativ sein, welche Gruppengröße ist sinnvoll? Neuland war für die OJHS, dass die Angebote nicht aufsteigend nach Jahrgängen, sondern jahrgangsübergreifend im Zusammenhang mit den Familienklassen organisiert werden sollten. Wie können wir die Tandems aus Künstler*innen und pädagogischem Personal so begleiten, dass Zeit für gemeinsame Vorbereitung und Reflexion zur Verfügung steht?
Wie muss die Struktur der Angebote entwickelt werden, damit sich jeder einbringen kann und aus zwei unterschiedlichen professionellen Sichtweisen und Standpunkten ein gemeinsamer Handlungsstrang wird?
Was machen wir mit Kindern, die sich nicht einbringen wollen oder können, eventuell sogar ihre Gruppe stören? Wie müssen wir die Angebote für extrem heterogene Gruppen (jahrgangsgemischt, behinderte/nicht behinderte Kinder gemeinsam) organisieren, damit jeder erfolgreich teilnehmen kann?
Hinzu kam, dass die Vorgaben bei verschiedenen Projekten durch die Stiftungen und andere Unterstützer häufig an Bedingungen geknüpft waren, die mit unserer Arbeit in jahrgangsübergreifenden Familienklassen nicht zwingend harmonierten. Dank der engagierten
Arbeit und Kommunikation von Thomas Gläßer konnte eine große Akzeptanz für unsere speziellen Bedingungen geschaffen werden.
Unser Ziel, den Kindern eigenes Gestalten, die Erfahrung von Selbstwirksamkeit sowie Lust an Bewegung und kreativem Ausdruck zu ermöglichen, wurde in regelmäßigen Feedbackgesprächen reflektiert.
Verankerung im Schulprogramm
Durch die Offenheit, Flexibilität und Hartnäckigkeit der Verantwortlichen in der OJHS, Rainer Linke als Leiter der OJHS und Thomas Gläßer als Projektleiter, hatten wir sehr professionelle Unterstützung und Begleitung. Ohne die positive und engagierte Zusammenarbeit innerhalb des gesamten Kollegiums im Vor- und Nachmittagsbereich hätte das Programm sich nicht so nachhaltig entwickeln können.
Das engagierte Zusammenwirken von außer-
schulischen Profis und Pädagogen war eine Voraussetzung für das Gelingen. In gemeinsamen Fortbildungen, die in Zusammenarbeit von Künstler*innen und Lehrer*innen vorbereitet wurden, entwickelten wir unsere gemeinsame Haltung im inklusiven Kontext weiter und verabredeten neue Formate, die auch im normalen Unterricht stattfinden sollten. So entstand in einem weiteren Schritt unser Vorhaben, Projekte in den Klassenteams zu planen und durchzuführen. Mittlerweile werden diese KlangKörper-Klassen-Projektphasen fest in den Jahresplan integriert.
Es war und ist uns stets bewusst gewesen, dass die Finanzierung unserer Arbeit auf Spenden und Fördergelder angewiesen ist und wir nur dank der hervorragenden Arbeit der OJHS und des Projektleiters überhaupt so viele Jahre finanziell gefördert werden konnten. Dies hätte ich als Schulleiterin allein nicht stemmen können.
Und so bleibt es eine ungelöste Aufgabe…
Wir können unserem Auftrag, Schülern unabhängig von ihrer Herkunft und Ausgangsbasis eine echte Teilhabe zu ermöglichen, langfristig nur gerecht werden, wenn wir Schule öffnen und das wirkliche Leben in unsere pädagogische Arbeit mit einbeziehen. Gemeinsam mit außerschulischen Trägern, Künstler*innen und anderen Professionen können wir in multiprofessioneller Arbeit viel erreichen.
Meiner Meinung nach darf diese Arbeit kein Privileg für nur eine gewisse Zeit sein. Sie darf nicht abhängig sein von Förderausschreibungen und befristeten Finanzierungen. Mein Wunsch wäre es, dass diese Arbeit grundsätzlich wertgeschätzt und so finanziell abgesichert wird, dass sich Strukturen festigen können und eine Anerkennung für geleistete Schulentwicklungsarbeit sichtbar wird.
Besonders in Schulen mit Kindern aus sogenannten Brennpunkten muss gewährleistet werden, dass allen Kindern, egal wo sie geboren worden sind, wo sie wohnen und welche wHandicaps sie haben, ein Recht auf Teilhabe zusteht. Dies kann dauerhaft nur durch eine konstante, sichere Finanzierung ermöglicht werden, die den Schulen, aber auch den Trägern eine langfristige Perspektive gewährt.
Dies mag noch Zukunftsmusik sein, aber einen ersten Schritt in die notwendige Richtung hat es dank der beharrlichen Arbeit der Leitung der OJHS bereits gegeben. Zumindest für 2020 und 2021 wird die Stadt Köln »KlangKörper« mit 25.000 € pro Jahr unterstützen. Unser Musik- und Tanzprofil, das den Kindern vielschichtige Zugänge zu ästhetischer Bildung, zu kreativem Handeln und kultureller Teilhabe ermöglicht, können wir so weiterentwickeln und ausbauen.