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Emergency-Songwriting
Songwriting-Methoden für die Bandarbeit mit Jugendlichen

Nick Frederick Klapproth

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Die Wortleiter

Ich habe in meinen Gruppen die Erfahrung gemacht, dass die kreativen Prozesse im Songwriting – gerade bei älteren Kindern und Jugendlichen – hin und wieder einen spielerischen, vielleicht sogar „ironischen“ Impuls von außen benötigen, um überhaupt in Gang zu kommen und die eigene Blockade zu überwinden: Manchmal hilft es, ein wenig Distanz zum eigenen Standpunkt oder zu schon vorhandenem Material einzunehmen und ein grobes Textgerüst ohne wirklich tieferen Sinn herzustellen, bevor es an das Erzählen einer Geschichte geht. Hieran kann dann im Anschluss weitergearbeitet werden. Wenn wir erstmal einen Grobschnitt aus interessanten, und einfach nur „gut“ klingenden Wortpaaren haben, fällt das nach meiner Erfahrung wesentlich leichter. „Klingt gut“ ist übrigens das einzige Kriterium, an dem sich so ein Wortpaar oder eine Textzeile im Zusammenhang der folgenden Impulsidee messen sollte, denn darum geht es schließlich in der Musik – zumindest meistens in den Youngster- und TeenBands.

Das folgende Spiel schlage ich deshalb Kindern und Jugendlichen in meinen Bands vor, weil es die Weise mit Sprache umzugehen, wie wir es gewohnt sind, erst einmal auf den Kopf stellt. Sprachliche Abkürzungen und Wortpaarbildungen, die wir ohne Hinterfragen verwenden, also immer dieselben Verben mit denselben Substantiven, dieselben Adjektive, welche dieselben Substantive betonen, werden so neu gemischt und in einen neuen, un-sinnigen Zusammenhang gestellt. Das kann lustig oder irritierend sein, in vielen Fällen ins Leere führen, in jedem Fall allerdings eine Menge an Material mit Aufforderungscharakter produzieren: Aufforderungscharakter deshalb, weil es uns auffordert, über Bedeutungen nachzudenken und mit der Sprache weiterzuarbeiten.

Das Beispiel bildet eine Wortleiter mit Jugendlichen aus einer TeenBand, welche hauptsächlich eigene Texte in englischer Sprache verfassen möchte, den Anfang jedoch einfach nicht findet. Die Aufgabe lautete:

Erster Schritt der Aufgabe:

„Nenne möglichst viele Verben in 60 Sekunden, die Dir zum Thema „Ärzt*in“ einfallen.“

Zweiter Schritt:

„Nenne in 60 Sekunden Dinge, die in diesem Raum vorhanden sind.“

release

camera

wait

cup

call (somebody)

window

heal

dust

point

flowers

deal

copy machine

trust

book

show

sun

hurt

lightbulb

sleep

carpet

make a date

table

fix (sth.)

speaker

agree upon

amplifier

arrange

glue

Dritter Schritt:

„Verbinde je ein Verb mit einem Nomen zu Wortpaaren, die zwar keinen Sinn ergeben, aber zusammen richtig gut klingen!“

wait – window

trust – camera

call – sun

camera – trust

 

deal – wire

heal – book

fix – flowers

[…]

Als vierter und letzter Schritt liegt an, die gebildeten Wort-Paare vor sich auszubreiten, zu besprechen, Assoziationen zu ermöglichen, gemeinsam zu ordnen und die entsprechenden Stellen mit weiteren Wörtern zu füllen, bis ganze Verse entstehen und ein Sinn erkennbar wird. Das Beispiel zeigt, dass dieser Sinn für einen relativ spontanen Text von Jugendlichen recht vielschichtig sein kann. In den Wortpaaren finden sich Anfänge für Geschichten und Anhaltspunkte für interessante Metaphern. Natürlich hat das Stück nichts mit Ärzt*innen oder Krankenhaus zu tun. Da ein*e Teilnehmer*in im Vorfeld vom Arztbesuch erzählt hatte, bot sich an, die Assoziationen hier anzusetzen.

Anzumerken ist noch, dass nicht jedes Wort, welches noch in den ersten Schritten vorkam, im Text Verwendung findet. Auch muss nicht jedes Substantiv als Substantiv verwendet werden (aus „glue“ wurde das passive verb „glued“), wir sind in der Anwendung der Schritte so frei, wie es die Situation anbietet oder auch einfordert.

I am waiting at the window

still calling the dust

To release the sun

 

Is it all cameras, we trust?

It’s all cameras, we trust

I am calling the dust

To release sun

 

Learnt to deal with broken wires

I found healing books

not everything gets fixed by flowers

I am glued to your looks […]

 

Is it all cameras, we trust?

It’s all cameras, we trust

I am calling the dust

To release sun

 

Variante: Adjektive und Nomen

Die Wortleiter funktioniert auch als Variation mit Adjektiven und Nomen. Das folgende Beispiel entstand in einem Workshop, indem die zwischen 14 und 16 Jahre alten Teilnehmer*innen einen Song für eine Werbung für „Ein gutes Leben“ in maximal 30 Minuten texten und komponieren sollten. Die Impulse zur Wortleiter lauteten „Sommer im Freibad“ und „Rich Kids“, das Verfahren lief wie oben, nur ohne den letzten Schritt:

sweet cash

juicy sugar

soft power

shiny account

 

healthy addiction

crunchy joy

healthy addiction

crunchy joy

 

Ein weiteres Beispiel der Adjektiv-Nomen-Variante, in der jedoch nicht konsequent mit Paaren, Adjektiven, Adverbien und Nomen vorgegangen wurde: Auf einer Jugendfreizeit fand eine Nachtwanderung statt. Die Impulse für die ersten beiden Schritte lauteten also: „Finde eine Reihe von Adjektiven, die die gestrige Nachtwanderung beschreiben, dann eine Reihe Nomen zum Thema ‚Ghostbusters’.”

funny

ghost

uncontrolled

hours

down

moon

free

prisoner

peacefull

hunter

bad

tension

loud

danger

dark

chain

adventurous

iron

Das Ergebnis lautete wie folgt:

 

Your ghost is hunting me

That’s not funny

‘cause in those uncontrolled hours

Under the moon

I thought I’d never wanted anything bad

You’re the prisoner

In my head

 

Refr.:

You’re the free hunter (4x)

 

And now I’m sitting

In the dark

being hunted

by your ghost (2x)

Nick Frederick Klapproth

Nick Klapproth ist als freier Musiker, Community Musician und Bandcoach in verschiedenen Projekten, an Grundschulen, in Jugendzentren in Köln und Umgebung praktisch und konzeptionell tätig. Unter anderem arbeitet er für die Offene Jazz Haus Schule Köln, für die Landesmusikakademie NRW sowie Kölnmusik (Kölner Philharmonie). Lehraufträge an der TH Köln im Studiengang „Pädagogik der Kindheit und Familienbildung, Veröffentlichungen und Beteiligung am kindheitspädagogischen Diskurs sowie künstlerische Publikationen (bisher zwei CD-Veröffentlichungen) und Auftritte in verschiedenen Formationen.