Improvisation und spontanes Komponieren mit Gruppen an weiterführenden Schulen
Erfahrungen und Materialien aus der Projektarbeit der OJHS an einer Kölner Gesamtschule
Lukas Keller
1. Einleitung
Für mich als Jazz-Musiker ist Improvisation etwas Alltägliches, aus dem ich Inspiration, Energie und Freude schöpfe. Deshalb ist es mir ein natürliches Anliegen, diese Perspektive auf das Musikmachen auch in meinem Unterricht zu vermitteln. Die Erfahrungen aus zahlreichen Projekten im Rahmen des Schulprofils Populäre und Experimentelle Musik (SPEM) an der Kölner Integrierten Gesamtschule Innenstadt (igis) haben mir gezeigt, dass dies nicht nur möglich ist, sondern dass sich gerade durch das Improvisieren und das spontane Komponieren mit Gruppen Chancen eröffnen, Kinder und Jugendliche in ihrer kreativen Entfaltung zu unterstützen, pädagogischen Herausforderungen flexibel und lösungsorientiert zu begegnen und nicht zuletzt spannende Musik zu erleben.
Die Gruppen, mit denen ich im SPEM-Projekt arbeite, sind hinsichtlich der musikalischen Vorerfahrung, der individuellen Entwicklung, des Alters und der soziokulturellen Prägung der einzelnen Schüler*innen sehr heterogen zusammengesetzt. Das muss kein Hindernis sein, im Gegenteil: jede spannende Band, jedes überzeugende Ensemble lebt von der Verschiedenheit seiner Mitglieder und von unterschiedlichen Spielertypen. Mit Gruppen zu improvisieren und Musik zu erfinden bietet die Möglichkeit, differenziert auf unterschiedliche Fähigkeiten und Vorlieben einzelner Individuen einzugehen. Dabei kann jemand ohne musikalische Vorkenntnisse und mit vermeintlich eingeschränkten Möglichkeiten eine mindestens genauso wichtige Rolle in einem Stück übernehmen wie eine Person, die ein Instrument beherrscht und seit vielen Jahren Instrumentalunterricht nimmt. Man denke nur an den einen exponierten Beckenschlag, der – genau im richtigen Moment platziert – das Stück gliedert oder gar beendet.
Hinzu kommen noch die Vorzüge des Peer-Teachings, welches durch die offenen Unterrichtssituationen beim Improvisieren und spontanen Komponieren stark begünstigt wird. In heterogenen Gruppen lernen Kinder und Jugendliche oft effektiver voneinander als von einer ihnen (zumindest vermeintlich) höhergestellten Lehrperson, indem sie sich gegenseitig observieren und imitieren sowie verbale über Lerninhalte und -Strategien austauschen.[1]
Anhand zwei ausgewählter Unterrichtssituationen möchte ich im Folgenden einige persönliche Erfahrungen schildern und im Verlauf Ideen und Methoden vorstellen, die ich entwickelt bzw. angewandt habe.
2. „Lost in Plastic“
Im Rahmen der Projektwoche an der igis haben die Schüler*innen die Möglichkeit, aus einer Vielzahl an Angeboten ein für sie interessantes Projekt zu wählen, in welchem sie eine Woche lang klassen- und jahrgangsstufenübergreifend zusammenarbeiten. Die Ergebnisse der Projekte werden dann am Ende der Woche öffentlich präsentiert.
Im Sommer 2022 durfte ich im Tandem mit einer Lehrkraft für Kunst und das Gesamtschulfach „Darstellen und Gestalten“ ein interdisziplinäres Projekt anbieten. Neun Schüler*innen der siebten bis elften Jahrgangsstufe mit ganz unterschiedlich gelagerten künstlerisch-kreativen Interessen und Vorerfahrungen nahmen daran teil. Nur wenige Teilnehmer*innen spielten bereits ein Instrument, zwei von ihnen nahmen Instrumentalunterricht. Wir hatten im Vorfeld abgesprochen, dass wir die Situation nutzen wollten, um möglichst ergebnisoffen in die Woche zu gehen, um den Schüler*innen die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Ideen und Fähigkeiten einzubringen und den Prozess maßgeblich mitzugestalten. Einzige Vorgabe war das Material, mit dem wir arbeiten wollten: Plastik.
Entlang des Verlaufs der Woche, den ich im Folgenden kurz skizziere, stelle ich einige Methoden heraus, mit denen wir gearbeitet haben. Dabei konzentriere ich mich vor allem auf die musikalischen Aspekte der interdisziplinären Arbeit. Das Projekt lässt sich in drei Phasen einteilen: Eine Warm-Up-Phase, an die eine Recherche- und Kreativ-Phase anknüpfte, und schließlich die Vorbereitung für die Performance.
2.1 Warm-Up-Phase
Zu Beginn der Woche stand vor allem das Kennenlernen in der Gruppe und die Themenfindung im Vordergrund. Die folgenden zwei Übungen eignen sich besonders gut als Warmup für intermediale Projekte:
Musikalischer Raumlauf[2]
Ein musikalischer Raumlauf verbindet Klang mit Bewegung und eignet sich gut als erste Warm-Up-Einheit zu Beginn eines Workshoptags. Man benötigt dazu nur einen leeren Raum mit ausreichend Platz zum Bewegen.
Ablauf:
- Die Schüler*innen laufen zunächst schweigend kreuz und quer durch den Raum, ohne einander zu berühren.
- Auf ein Klatschzeichen der anleitenden Person hin gehen alle in den Freeze, verharren also an Ort und Stelle wie eingefroren.
- Ein weiteres Klatschzeichen hebt den Freeze auf. Die Schüler*innen setzen sich wieder in Bewegung.
- Beim nächsten Freeze können verschiedene Anweisungen gegeben werden, die die Schüler*innen – sobald wieder „aufgetaut“ – ausführen. Zum Beispiel:
- Alle gehen leise flüsternd durch den Raum.“
- Murmelnd
- Laut redend
- „Die Mitte des Raums ist der leiseste Ort, am Rand ist es am lautesten.“ (Anmerkung: Die Erfahrung ist am intensivsten, wenn alle simultan in die Mitte kommen (leiser werden) und wieder auseinander an den Rand gehen (lauter werden).)
- „Wir gehen alle summend durch den Raum.“
- „Wir verändern die Tonhöhe: je weiter wir in die Mitte des Raums kommen, desto höher wird der Ton, je weiter wir uns an den Rand bewegen, desto tiefer wird der Ton.“
- „Jeder singt einen eigenen Ton.“ (Cluster)
- „Jeder singt einen entgegengesetzten Ton.“ (Cluster)
- „Alle einigen sich auf denselben Ton.“
Aspekte und Auswirkung:
- Die Sensibilität für den Raum(-klang) wird gesteigert.
- Die Aufmerksamkeit für die anderen Teilnehmer*innen wächst.
- Durch den spielerischen Einsatz der Stimme wird die Eigenwahrnehmung geschärft.
Paper-Games[3]
Für dieses Spiel bietet sich ein Sitz- oder Stehkreis an.
Ablauf:
- Die Schüler*innen lassen ein Blatt Papier geräuschlos im Kreis wandern.
- Bei jedem noch so leisen Geräusch wird das Papier wieder zurück an den Start gegeben.
- In einer zweiten Runde sollen die Schüler*innen dem Papier z. B. durch Reißen, Knuddeln, Knicken, Reiben… möglichst verschiedene Klänge entlocken und seine Form dadurch verfremden. Diese Geräusche bzw. Aktionen dürfen sich nicht wiederholen.
- Am Ende der Runde wird die entstandene „Papierskulptur“ zum Betrachten in die Mitte des Kreises gelegt. Die Schüler*innen dürfen äußern, was sie mit ihrer Form und den Geräuschen assoziieren. Vielleicht bekommt die Skulptur dadurch einen Namen oder einen Charakter?
Aspekte und Auswirkung:
- Es werden nacheinander zuerst Stille und dann Geräusche erzeugt.
- Die Übung fördert die Konzentration in der Gruppe.
- Sie regt Fantasie und Kreativität an, indem verschiedene Sinne miteinander verknüpft werden.
2.2 Recherche-/Kreativ-Phase
Es stellte sich als wichtig heraus, die offene Herangehensweise und die damit verbundene Selbstbestimmtheit und gleichzeitige Verantwortung jedes*jeder Einzelnen bewusst zu kommunizieren, da die Schüler*innen aus ihrem Schulalltag wesentlich stärker angeleitete Situationen und klare Aufgabenstellungen gewohnt waren.
In diesem Zusammenhang hat es sich als hilfreich erwiesen, dieser speziellen Gruppe durch Impulse in Form von Spielen und Übungen sowie gemeinsames Brainstormen und Vorstellen von Beispielen aus der zeitgenössischen Kunst und Musik eine gewisse Rahmung anzubieten. Angeregt dadurch fiel es den Schüler*innen deutlich leichter, in einen kreativen Prozess zu gehen, als aus einem „luftleeren Raum“ heraus Ideen zu schöpfen.
Als Künstler möchte ich in erster Linie kreatives Handeln und echte ästhetische Erfahrungen ermöglichen. Beides setzt aber eigentlich intrinsisch motiviertes und zu einem hohen Anteil selbstbestimmtes Arbeiten voraus. Es wird also ein Fingerspitzengefühl dafür benötigt, wie viel Impuls der Situation hilft und ab wann ich wieder beobachtend an den Rand treten und die „Zügel“ loslassen kann. Je weniger Eingriff durch mich und je mehr kreativer Flow ohne mein Zutun entsteht, desto näher komme ich meinem künstlerisch-pädagogischen Ideal.
Die Übungen, auf die ich in dieser Phase des Projektes zurückgegriffen habe, nehmen das Komponieren und Improvisieren in der Gruppe in den Fokus und haben zum Ziel, Kreativität und Abstraktionsvermögen anzuregen.
Cage Uhr
Die Cage Uhr ist eine beliebte Methode in der Vermittlung zeitgenössischer Musik. Hier geht es um Instant Composing mit einzelnen Klängen. Die Übung kann gleichermaßen mit gewöhnlichen Instrumenten, Selbstklingern oder Alltagsgegenständen durchgeführt werden.
Ablauf:
- Erster Durchgang:
- Jede*r Spieler*in sucht sich einen Klang/ein Geräusch auf seinem*ihrem Instrument aus und wählt eine Uhrzeit zwischen 0 und 12 Uhr, zu der dieser Klang/dieses Geräusch erklingen soll. Diese Uhrzeit behält zunächst jeder für sich.
- Ein*e Dirigent*in verkörpert, für alle Spieler*innen gut sichtbar, eine Uhr. Sobald das Stück beginnt, hebt er*sie dafür den ausgestreckten linken Arm (Stundenzeiger) senkrecht nach oben. Der rechte Arm ist am Körper angelegt. In einem selbstgewählten, konstanten Tempo beschreibt er*sie nun mit dem linken Arm einen Halbkreis (0 bis 6 Uhr), bis der Arm unten angelangt ist. Der rechte Arm übernimmt, indem er im gleichen Tempo neben dem Körper nach oben geführt wird und den Kreis komplettiert (6 bis 12 Uhr). Die Geschwindigkeit des Stundenzeigers sollte beim ersten Mal nicht zu schnell sein!
- Die Spieler*innen platzieren ihren Sound währenddessen einmal zur jeweils gewählten Uhrzeit.
- Gemeinsame Reflexion, z. B. mit diesen Fragen:
- „Wie könnte man das Stück/den Verlauf beschreiben?“
- „Welche Momente haben uns besonders gut gefallen?“
- „Welche unterschiedlichen Längen/Qualitäten/Lautstärken usw. hatten die Sounds?“
- „Sollen wir etwas verändern?“
- Weitere Durchgänge:
- Nun könnte das Stück wiederholt, in einem anderen Tempo gespielt, verändert oder ganz verworfen und neuimprovisiert werden. Die Entscheidungen trifft die Gruppe.
- Ansage: „Versucht auf das ganze Stück zu hören und dabei jeden einzelnen Sound mitzubekommen!“ (Manchmal ist es sinnvoll, eine Runde aufzunehmen und der Gruppe anschließend vorzuspielen, da die Spieler*innen oft ganz darauf konzentriert sind, ihren Sound zu ihrer Zeit genau „richtig“ zu spielen und dabei den Gesamtklang aus dem Blick verlieren.)
- Die Rolle des*der Dirigent*in kann und sollte auch durch Schüler*innen besetzt werden und zwischendurch wechseln.
Aspekte und Auswirkung:
- Durch die zunächst zufällige Reihenfolge und die nicht abgesprochenen Elemente entsteht ein abstraktes Stück, das im weiteren Verlauf variiert werden kann.
- Jeder einzelne Sound ist ein essenzieller Baustein, deshalb haben alle Personen, Spieler*innen wie Dirigent*in, eine gleich wichtige, tragende Rolle im Stück.
Sounds of Trödelmarkt
Mehrere kuriose Gegenstände, deren Funktion und Verwendungszweck sich auf den ersten Blick nicht eindeutig erschließen sollte (sie können z. B. vom Trödelmarkt, aus dem Haushalt oder vom Dachboden stammen), werden auf einem Tisch oder auf dem Boden kommentarlos präsentiert.
Ablauf:
- Die Schüler*innen bekommen kurz Zeit, die Gegenstände zu inspizieren.
- Anschließend werden Kleingruppen gebildet. Jede Gruppe sucht sich einen Gegenstand aus, mit dem sie arbeiten möchte.
- Aufträge:
- „Untersucht und diskutiert den Gegenstand hinsichtlich Textur/Stofflichkeit/Materialqualität/Gewicht/Farbe/Größe…“
- „Wie ‚klingt‘ der Gegenstand? Überlegt, wie sich passende Klänge dazu anhören könnten (hart, weich, laut, leise, metallisch, warm...).“
- „Sucht dann mit Instrumenten nach passenden Sounds und Ideen und entwickelt ein kurzes Stück (Miniatur) in der Gruppe (ca. 15 Minuten Zeit).“
- Präsentation:
- Das Publikum gibt den Gegenstand einmal herum, sodass jeder kurz die Gelegenheit bekommt, ihn von Nahem zu betrachten, zu betasten usw.
- Anschließend wird der Gegenstand vor der performenden Gruppe gut sichtbar aufgestellt.
- Dann beginnt die Gruppe mit der Performance.
- Gemeinsame Reflexion, z. B. mit diesen Fragen:
- „Was habt ihr gehört?“
- „Was hat das Gehörte mit dem Gegenstand zu tun?“
- „Welchen Charakter hat die Musik dem Gegenstand verliehen?“
- „Was haben die Performer*innen versucht musikalisch auszudrücken? Ist es gelungen?“
Aspekte & Auswirkung:
- Die assoziative Auseinandersetzung mit den Gegenständen regt die Fantasie an.
- Visuelle und haptische Eindrücke werden in Klänge übersetzt.
- Die Übung ermöglicht eine Lösung von Klischees („Mickeymousing“).
- Ein abstraktes Stück kreieren.
Die Übung lässt sich sehr gut in intermedialen Kontexten einsetzen. Im Falle von „Lost in Plastic“ haben die Gegenstände sogar Nebenrollen in der finalen Performance bekommen.
Bildvertonung
In der Recherchephase von „Lost in Plastic“ forderte die Kunstlehrerin die Schüler*innen auf, den einzelnen Kreaturen in Paul Klees „Zwitschermaschine“ Charaktereigenschaften, Bewegungen und Laute zuzuweisen. Dadurch wurden sie zu programmatischen Improvisationen inspiriert, die wir aufgenommen haben.
Einzelne Teile daraus, wurden zu Stücken weiterentwickelt, die als Live-Bühnenmusik für die Performance dienten. Eine längere Improvisation haben wir, wie aufgenommen, zu einem Teil der Performance abgespielt.
Die Bildvertonung wirkte ahnlich anregend wie die oben beschriebene Methode „Sounds of Trödelmarkt“.
2.3 Vorbereitungsphase
Nachdem sich, inspiriert durch das gemeinsame Forschen, nach mehreren Brainstorming-Runden Performance-Thema „surreale Welten/Universum“ herauskristallisiert hatte, wurde weitestgehend in Kleingruppen gearbeitet und kreiert, regelmäßig die Zwischenergebnisse gegenseitig präsentiert und Feedback eingeholt. Hier bewies sich, wie gewinnbringend es sein kann, wenn Dozierende mit Expertise in unterschiedlichen Kunstsparten (hier: Bildende Kunst, Schauspiel, Musik) zusammenarbeiten können, da so verschiedene Perspektiven einfließen und die Schüler*innen sich nach Belieben spezialisieren konnten.
Am Ende der Woche stand eine etwa 10minütige Performance mit einer selbstentwickelten Handlung, selbstgebastelten Kostümen, aufwendigem Bühnenbild und fantasievoller, teils selbstkomponierter, teils improvisierter Musik.
3. 20-Minuten-Experiment
Ein anderes Format des SPEM-Projekts sind die wöchentlich nachmittags stattfindenden AGs, die von interessierten Schüler*innen (in der Regel aus der 5. bis 7. Klasse) freiwillig belegt werden können. Auch hier werden keine musikalischen Vorkenntnisse vorausgesetzt.
In einer Stunde der Band AG bot sich der Raum für ein spannendes Impro-Experiment, das diesen Erfahrungsbericht abrunden soll.
Zusätzlich zu den standardmäßig aufgebauten Instrumenten Schlagzeug, Klavier, Gitarre, Bass und Mikrofonen wurde mehrere Klangstationen im Raum verteilt installiert. Diese Stationen wurden mit Trommeln, Triangeln, Klangstäben, Becken, Kleinpercussion und Alltagsgegenständen bestückt und bildeten ein Set. Es sollten bewusst mehr Instrumente als Spieler*innen im Raum sein.
In diesem Setting wurde frei improvisiert, allerdings sollten folgende Aspekte beachtet werden:
- „Wir spielen 20 Minuten am Stück. Alles darf während dieser Zeit passieren, nur die Musik darf nicht abbrechen!“
- „Das Instrument darf im Stück getauscht werden!“
- „Jede Person legt mindestens eine längere Pause ein, in der sie nur lauscht und kein Geräusch von sich gibt!“
- „Das Stück ist erst beendet, wenn der Timer abgelaufen ist!“
Im Anschluss an die Improvisation war es sinnvoll gemeinsam über das Gespielte zu reflektieren:
- „Was ist passiert? Beschreibt das Stück von Anfang bis Ende.“
- „Aus welchen Teilen bestand das Stück? Welche Überschriften könnten sie tragen?“
- „War es abwechslungsreich?“
- „Was ist passiert, als einzelne Spieler*innen ausgestiegen sind? Sind Pausen auch Musik?“
Die Musik, die in den 20 Minuten erklang, hat mich nachhaltig beeindruckt. Durch den experimentellen Charakter der Aktion trauten sich auch sonst eher verhaltene Schüler*innen, von Anfang an zu improvisieren. Die vereinbarte Länge ermöglichte es darüber hinaus ohne Druck in aller Ruhe reinzukommen und auszuprobieren. Zwar klang die Improvisation durch diese Phase des Suchens zu Beginn noch etwas chaotisch, in der Folge wurden die Ideen aber umso klarer und stärker. Die Spieler*innen hörten besser aufeinander und interagierten mehr als in bisherigen musikalischen Situationen. Sie fühlten sich verantwortlich für die Musik, da sie sie nicht abbrechen lassen wollten und hatten genügend Zeit, musikalische Ideen zu etablieren. Die verhältnismäßig lange Spieldauer hatte außerdem zur Folge, dass so manche Idee sich mit der Zeit abnutzte und Variation somit unumgänglich wurde.
4. Schlussbemerkung
Musikalische Momente wie der zuletzt beschriebene können unglaublich inspirierend für alle Beteiligten sein. Sie zeigen, dass Gruppenimprovisation im Speziellen und notenungebundenes, kreatives Musizieren im Allgemeinen auch an weiterführenden Schulen alltagstauglich ist, da diese Herangehensweisen an Musik Anforderungen und Bedürfnissen von Lernenden wie Lehrenden jeden Alters entgegenkommen.
Dennoch könnten Lehrenden, die selbst über wenig praktische Erfahrung im Improvisieren verfügen und sich mit dem freien Spiel nicht auf Anhieb wohlfühlen, verständlicherweise Hemmungen im Weg stehen, sich dem Thema mit ihren Schüler*innen anzunehmen. Hier können einerseits konkrete Methoden wie die vorgestellten den Einstieg erleichtern und Struktur geben. Anderseits, und zusätzlich motivierend eröffnet sich der anleitenden Person durch das Improvisieren in der Gruppe eine seltene Chance: sich selbst als Teil eines Klangkörpers zu begreifen, auch in der Rolle als Lehrer*in.
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[1] Adina Mornell beschreibt in ihrem Aufsatz „Antagonist or Allies“ (Hrsg. Peter Röbke & Natalia Ardila-Mantilla: Vom wilden Lernen, Schott Music 2009) „Peer-Group Learning“ als eine von drei Lernformen beim musikalischen Lernen, neben „Self-Directed Practice“ und „Teacher-Directed Instruction“.
[2] [3] Eva-Maria Kösters, Musikland Niedersachsen gGmbH: Unterrichtsmaterial - Zeitgenössische Musik in der Schule für weiterführende Schulen